Was man von einem Grafiker lernen kann, wenn man den sog. Weissraum als sein Leben betrachtet und es schön haben will. Auch wenn diese verkackte Schmeiss-doch-alles-weg-und-lebe-nur-noch-mit-100-Dingen-Szene einfach nur nervt!
Es ist einige Jahre her. Ich machte eine Fortbildung zum Grafiker. Schöne Dinge zogen mich schon immer an und als texter und Photograph arbeitest Du mit einigen Grafikern zusammen. Wir hatten einige Lehrer und einer war besonders engagiert:
Überfüllte Bilder überfordern
In der Photographie kommt es, wie auch beim Schreiben auf Reduktion an. Natürlich auch in der Grafik. Immer ist man bestrebt, möglichst viel der weissen Fläche zu füllen, Information oder Farbe unterzubringen. In diese Falle tappen wir alle immer wieder und das Ergebnis ist: ÜBERLADEN. Die Ergebnisse sind keine Eye-Catcher, sondern sind anstrengend. Fordern zu viel. Und lassen zu wenig Raum bei BetrachterInnen, sich selbst einzubringen.
Besonders in der Grafik spricht man hier vom sog. Weissraum. Angefüllte weisse Fläche. Mit deren Hilfe man positive Spannung erzeugen kann, oder aus Angst vor der Leere irgendwas hineintut, damit auch ja keine Bewegung ins Spiel kommt. So kann man entweder Begegnungen zwischen Werk und BetrachterIn schaffen, die den BetrachterInnen keinen eigenen Spielraum lassen, oder man schafft Begegnungen die wie Einladungen sind. Weil auch noch Platz für das Gegenüber ist.
Überfüllte Grafiken sind wie Menschen die man lieber meidet
Wenn der Weissraum Dein Leben ist: Wie wird es da wohl sein? Bist Du überfüllt und hast nichteinmal Platz für Dich selber? Oder schaffst Du Dir selbst Freiräume und Stille?
Wir wollen vom Leben beschenkt werden. Das Universum soll liefern. Tolle Menschen sollen uns gut finden. Wie aber soll das gehen, wenn wir vollkommen überfüllt sind, also vollkommen zu sind? Da hat Neues kein Platz!
Jaja. Jetzt kommt dann die Minimalismus Fraktion daher und will, dass wir nur noch 100 Dinge besitzen und am Besten von Luft und Licht leben. Also von einem Extrem zum anderen Extrem!!
Und dann wundern wir uns, wenn uns das 100Dinge-Extrem nicht reizt.
Mir hilft tatsächlich der Grafik Lehrer mehr als alles andere. Einfach weil er es zelebriert hat. Weil es eine Show war. Und weil er verdammt Recht hat, ohne gleich ein Extrem zu fordern:
…dann lass es gefälligst auch weg
Er stand vor uns und wir arbeiteten gemeinsam an einer Grafik. Er reduzierte immer wieder, fügte manchmal etwas hinzu, nahm anderes dafür weg. Bis plötzlich mehr Weissraum da war. Dann:
Stille.
Er schaute uns nur an.
Und dann brach der Vulkan aus. Mit einem großen Sprung in unsere Mitte verkündete er mit lauter Stimme:
Und wenn Du etwas weglässt, und Du merkst, es stört nicht, wenn du es weglässt, DANN LASS ES GEFÄLLIGST AUCH WEG!!!
Stille. Nachklang.
Reduktion schrittweise probieren
Er sprach nicht davon, alles weg zu lassen, quasi die 100Dinge Formel, er sprach von schrittweisen Reduktionen. Und dann prüfen: Stört es mich, wenn es nicht mehr da ist? Dann der nächste Schritt und der nächste.
Bis Du wieder frei bist. Frei von zuviel-in-Dir. Dann hast Du wieder Raum, Dir selber zu begegnen.
Ich bin überzeugt, dass derart viel Scheisse passiert, weil wir alle überfüllt und überladen sind. Schau mal, wer kann heute noch ruhig in Deine Augen blicken, ohne immer Richtung Handy zu zucken oder zu prüfen, ob etwas anderes, besseres?, verpasst wird?
Wer kann Dir heute noch wirklich wirklich ZUhören? Bei Dir HINhören?
Wenn Du selbst es schon nicht mehr kannst, weil es in Dir zu voll ist:
Dann wird es Zeit, Dich um Deinen Weissraum zu kümmern.
Als ich noch in Österreich lebte, habe ich festgestellt, dass all jene, die sich in den Bergen auskennen, nur für diesen Tripp nützliche Dinge im Rucksack haben. Meist war der Rucksack nicht schwer. Viele andere hatten lauter sinnloses Zeug dabei, sogar Wasserkocher, und zusätzlich die falschen Schuhe.
Was schleppen wir alles so durch unser Leben, anstatt den Rucksack auszuleeren? Weil wir zu viel Kraft haben? Warum sind wir dann dauernd müde?
Ob nun Rucksack oder Weissraum:
Wie geht es DEINEM Weissraum?
Für Deine Leichtigkeit,
Georg
P.S. Yehudi Menuhin, der berühmte Virtuose an der geige, hat dazu auch etwas gesagt. Aber ob Du DAFÜR noch genug Weissraum in Dir trägst?