Wenn die Stille kommt, dann kommen die Gedanken. Wenn es still wird, begegne ich mir selber. Und wer hält das schon aus?
Es ist schon einige Jahre her. Ich lebte in Graz. Dort gibt es das wunderbare Museum der Wahrnehmung. Einen Sommer hatten sie eine Ausstellung über das Stadtgebiet verteilt.
Mein liebstes Objekt stand an einer lauten und stinkenden Strasse, am Rande des Stadtparks: Es war ein Kubus mit einer Kantenlänge von über zwei Metern. Innen voll verspiegelt und beleuchtet. Du konntest Dich hineinlegen und die Tür von innen schliessen. Dann gab es nur noch Dich selbst, hundertfach gespiegelt und Deinen Herzschlag. Und Deinen Atem. Und das neben der lauten Strasse.
Stille PUR!
Stille macht Angst
Ich feierte dieses Objekt geradezu und war oft dort. Da drinnen. Mit mir und meinen Gedanken, meinem Sein. So mitten im puren Leben einer Stadt und doch ganz mit mir.
Die Ausstellung ging zu Ende und gerade mein liebstes Objekt wurde besprochen. Es war aufgefallen, dass es kaum benutzt wurde. Immer wieder kamen Leute, gingen auch hinein und waren Sekunden später schon wieder draussen. Die Museumsleitung befragte einige dieser BesucherInnen, wollte wissen, warum gerade dieses Objekt so sehr gemieden wurde. Die Antworten waren wie diese einer Besucherin:
„Ich halte die Stille da drinnen nicht aus. Und dann sehe ich mich auch noch und höre mich selbst. Furchtbar!“
Erinnerungen an meine Schule
Prompt erinnerte ich mich an meine Zeit in der Fachoberschule für Sozialpädagogik. Wir hatten eine tolle Lehrerin, die eines Tages einen berührenden Artikel Yehudi Menuhins (Virtuose an der Geige) mit uns besprach:
„Die Angst der Menschen vor der Stille“
Im Artikel schreibt Menuhin über Konzerte mit Publikum. Musik lebt, wie Du sicher weißt, auch durch die Pausen, die Stille zwischen den Noten. Sie klingt nach, wir brauchen diesen Raum. Nun gibt es Pausenzeichen in den Notenblättern, die den ausführenden Musikern erlauben, die pausen so lange zu halten, wie es gerade zur Stimmung passt. Nach ihrem Gefühl.
Stille braucht Mut
Menuhin erzählt nun, dass es nur wenige Konzerte gibt, bei denen die Musiker wirklich den Mut aufbringen, die Pausen so lange zu halten, wie es gerade passen würde. Denn ist die Pause, also die Stille, zu langgezogen, wird das Publikum sofort unruhig, räuspert sich, hustet, redet. Hauptsache, es ist ja nicht still. Wir reden hier nicht über minutenlange Pausen, wir sprechen von Sekunden!!
Stille braucht also Mut.
Wann war es bei Dir zuletzt still?
Eine kritische Frage. Wer will schon Stille? Das Radio läuft quasi immer, zum Frühstück ziehen wir uns schon die ersten Dramen des Tages rein und so geht es den ganzen Tag. Beobachte das mal: Ausser den Wald gibt es fast keine stillen Orte.
Ich habe lange als Paarberater gearbeitet. Auch da dieses Phänomen. Ich fragte, warum A mit B zusammen ist. Und hinter allen Antworten, fragte ich weiter, standen immer diese zwei Antworten:
A) Weil ich geliebt werden will.
B) Weil ich nicht alleine sein kann.
Spannend, nicht mit sich alleine sein können.
Wir halten uns selbst also nicht aus, wollen aber zugleich (oder umso mehr?), dass andere uns aushalten! Wie kommen wir darauf?
Also lassen wir die Stille nicht zu, weil die Begegnungen mit uns selbst nicht in Liebe stattfinden, sondern mit den Augen des Zweifels, der Kritik und der Angst vor dem, was wir wirklich wirklich wollen.
Täten wir, was wir wirklich wollen, hätte uns ja niemand mehr lieb
„Da könnte ja jedeR kommen!“. „Das Leben ist nunmal kein Wunschkonzert!“
So schaut’s aus! Also: Dein Leben gehört ja nicht Dir selbst, es gehört all den anderen Vögeln. Oder warum lassen wir uns derlei miese Scheisse sagen???
Die wirkliche Krise mit der Stille ist doch, dass wir in solchen Momenten unsere Gedanken bewusster wahrnehmen. Sogar unser Herz hören. Und dann drauf kommen, was uns alles wirklich gegen den Strich geht.
Statt daraus Konsequenzen zu ziehen und AKTIV ZU HANDELN, wenden wir uns Drogen und Alkohol zu, oder schlucken ein paar leckere Pillen die uns dämpfen. Dann schaut doch wieder alles rosig aus. Oder?
Vielleicht müssen es ja nicht Stunden der Stille sein
„Wer nicht täglich drei Stunden für Sich hat, ist kein Mensch“, meinte einst ein Philosoph. Und genau da erkennen wir wieder unser Leistungsprinzip.
Wer weiß, vielleicht tun Dir täglich 10 Minuten schon gut? Einfach so, ohne Handy, Tablett und Co. Einfach mit Dir sein und atmen. Die Gedanken wie Wolken sehen und sie kommen und wieder ziehen lassen. Ohne zu (be)werten.
Ohne dabei gleich kluge Fragen zu stellen und harte Konsequenzen zu ziehen. Die Folge wäre, dass Du Dich der Stille bald wieder verweigerst.
10 Minuten? Täglich? Bist Du dabei?
Stille Grüße in Liebe,
Dein Georg
P.S.: Vergiss bitte nicht, Deinen Arsch hochzukriegen. Bevor der Sensenmann kommt!